Im fünften Teil unserer Mini-Blogserie über digitale Plattformen beschäftigen wir uns mit einem der schwierigsten Themen: Wie und an welcher Stelle setzen digitale Plattformen Preise? Konventionelle Preissetzungsweisheiten aus der linearen Welt sind bei digitalen Plattformen meist irreführend und häufig falsch. Gerade beim Wechsel von einem linearen zu einem Plattform-Geschäftsmodell erfordert es oftmals Mut, von der typischen Preissetzung abzuweichen und der Logik der Netzeffekte zu folgen.
Bei digitalen Plattformen kommt es auf die Preisstruktur an: Plattformen subventionieren typischerweise eine oder auch mehrere Nutzergruppen, um mit anderen Nutzergruppen Umsätze zu erzielen. Die Suchmaschine von Google ist für Sucher und Webseiten kostenlos, Werbetreibende müssen dagegen bezahlen. Das ist intuitiv und logisch, zumindest seitdem Google damit erfolgreich ist und viel Geld verdient. In der Praxis treten dabei meist zwei Probleme auf: 1) Wer ist die wichtigere Nutzergruppe? und 2) was heißt „subventionieren“?
Wer sind die Ladies? Was entspricht den Freigetränken?
Welche die wichtigere Nutzergruppe ist, ist in manchen Fällen eindeutig (wie beispielsweise bei der Ladies Night der Nachtclubs). Bei den meisten Plattform Start-Ups kristallisiert sich diese Gruppe aber erst bei der Lösung des Chicken-Eggs-Problems heraus. Auch hier sind die (indirekten) Netzwerkeffekte wieder der entscheidende Faktor: Es kommt auf eine genaue Analyse deren Richtung und Stärke sowie anderer Eigenschaften an.
Subventionieren bedeutet bei digitalen Plattformen, dass man das Produkt oder den Service, den die Plattform den Nutzergruppen anbietet zu einem günstigeren Preis, zum Selbstkostenpreis oder sogar darunter (möglicherweise auch zum Nullpreis) „verkauft“. Diese Unternehmen machen also mit einer Nutzergruppe unter Umständen ganz bewusst einen Verlust. Bei linearen Geschäftsmodellen ist das meistens nur zur Markteinführung oder bei besonderen Rabattaktionen sinnvoll. Digitale Plattformen setzen dagegen auch nachdem sie die kritische Masse erreicht haben weiter auf diese Preisstruktur. Die digitale Plattform muss auch weiterhin dafür sorgen, dass es zu ausreichend vielen und ausreichend werthaltigen Interaktionen auf der Plattform kommt. Unternehmen, die aus der linearen Welt kommen tun sich deshalb oft schwer: „Was nichts kostet ist auch nichts wert“ oder „wir geben doch unser wertvolles Produkt nicht einfach umsonst her“. Und doch fuhr Google mit Autos durch alle Straßen der wichtigsten Städte auf der Welt, machte Bilder und stellt diese kostenlos zur Verfügung (Aufwand für die Erstellung, Serverkapazitäten, etc.).
Bei der Preissetzung muss sich das Unternehmen entscheiden: Will es ein Produkt oder einen Service verkaufen oder Interaktionen ermöglichen? Der Verkauf eines Produkts ist oft einfacher: Das Unternehmen stellt etwas her, verkauft es und wird dafür bezahlt. Bei Plattformen ist es dagegen anders: Die digitale Plattform stellt etwas her, um so Nutzergruppen zu verbinden und Interaktionen zu ermöglichen, um dann mit den Interaktionen Umsätze zu erzielen. Die Umsätze kommen also nicht aus dem Verkauf, sondern aus dem Betrieb des Produkts – also später und in kleineren „Portionen“.
Value Capturing: Woher kommt das Geld?
Woher kommt das Geld bei digitalen Plattformen? Plattformen schaffen dadurch Wert, dass sie wertvolle Interaktionen ermöglichen. Setzt man einen zu hohen Preis oder einen Preis an der falschen Stelle, dann verhindert man so, dass Nutzer auf die Plattform kommen und auch, dass es zu Interaktionen kommt. Die Zahlungsbereitschaft von Nutzern ist dann am höchsten, wenn sie ihr Ziel erreicht haben (siehe Teil III der Blogserie), wenn es also zu einer Interaktion oder Transaktion gekommen ist. Müssen die Nutzer vor diesem Punkt schon einen Preis bezahlen, wissen sie nicht, ob sie ihr Ziel erreichen und wie werthaltig diese Zielerreichung (die Transaktion) sein wird.
Digitale Plattformen müssen mehrere Entscheidungen treffen, bevor sie über die absolute Höhe des Preises entscheiden:
1) Welche Gruppe sollte einen höheren Preis zahlen? Wer ist also die Money-Side auf der Plattform?
2) Was genau soll bepreist werden? Der Zugang, die Interaktion, die Transaktion oder eine Kombination daraus?
3) Wann soll bepreist werden: Vor der Interaktion, vor der Transaktion, beim Abschluss der Transaktion auf der Plattform oder wenn die Leistung (außerhalb der Plattform) vollständig erbracht ist?
4) Wie soll bepreist werden? Gibt es ein Freemium-Modell oder Abo-Modell? Wird pro Transaktion abgerechnet oder zahlt vielleicht eine dritte Partei? Und erst zuletzt kommt die Frage:
5) Wie hoch soll der Preis sein?
„Wie sollen wir die Preise setzen?“
Häufig geht es in Beratungsprojekten um Preise: Wie viel sollen wir verlangen? Die Preissetzung kann aber nie separat betrachtet werden. Die Gegenfrage ist deshalb immer: Für was? Was ist das Produkt- oder Serviceangebot? Dies gilt auch und insbesondere für Plattformen: Was bieten Plattformen den Nutzern auf dem Weg zur Interaktion/Transaktion an? Wie helfen die Plattformen den Nutzern an ihr Ziel zu kommen? Oder anders ausgedrückt: Wo und wie senken Plattformen Transaktionskosten (Interaction-Journey).
Zur Beantwortung der ersten drei Punkte - Wer? Was? Wann? - ist es entscheidend zu wissen, was die Plattform den jeweiligen Nutzergruppen anbietet. Die Preissetzung ist sozusagen eine logische Folge aus den ersten Schritten zum Aufbau einer Plattform, die wir den Teilen II bis IV beschrieben haben: wie und durch was schafft die Plattform Wert bei den Nutzern? Erst wenn diese Fragen beantwortet sind, kann eine Plattform darüber nachdenken, wie sie die Interaktionen monetarisieren kann.
Indirekte Netzwerkeffekte bestimmen die Preissetzung
Die Preissetzung verfolgt immer das Ziel, die indirekten Netzwerkeffekte maximal zu nutzen und den Gesamtgewinn der Plattform (über alle Nutzergruppen hinweg) zu maximieren. Das bedeutet:
Die Preise für die Nutzung der Plattform unterscheiden sich für die Nutzergruppen
Es gibt immer eine Money-Side und eine oder mehrere Nutzergruppen, die subventioniert werden
Die Preise für eine oder mehrere Nutzergruppen können sehr niedrig sein, unterhalb der Kosten liegen oder sogar null sein (müssen aber nicht null sein)
Die Plattform nimmt unter Umständen Verluste mit bestimmten Nutzergruppen in Kauf, um insgesamt den Gewinn über alle Nutzergruppen zu maximieren
Einige Plattformen stellen ihre Kern-Interaktion sogar kostenlos für alle Nutzergruppen bereit und verdienen dann mit einer dritten Gruppe Geld. Diese sogenannten 2+1 Märkte widersprechen in gewisser Weise der linearen Logik, da man mit seinem eigentlichen Unternehmenszweck kein Geld verdient oder anders ausgedrückt: Ist Google eine Suchmaschine oder ein Werbeanbieter?
Ohne Preise kein Geschäftsmodell
Das Thema Preissetzung ist der Knackpunkt der meisten Geschäftsmodelle: einige Unternehmen scheitern daran, andere verzichten unfreiwillig auf Umsatz, weil die Preise zu hoch oder zu niedrig gesetzt sind. Für diesen Blogeintrag ist aber vor allem wichtig, dass es bei digitalen Plattformen auf die Preisstruktur ankommt und dass viele traditionelle Weisheiten zur Preissetzung häufig „false friends“ sind.
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