Digitale Plattformen Teil III: Core-Interaktion – Der Kern der digitalen Plattform
- Jürgen Rösch
- Jul 9, 2021
- 5 min read
Im dritten Teil unserer Mini-Blogserie über digitale Plattform-Geschäftsmodelle beschäftigen wir uns mit der Kern-Interaktion. Auf den bekannten Plattformen gibt es eine Vielzahl an Möglichkeiten, um mit anderen Teilnehmern zu interagieren. In jedem Fall gibt es jedoch eine Interaktion, die charakteristisch für die digitale Plattform ist. In der Startphase einer digitalen Plattform gilt es deshalb, diese Kern-Interaktion zu identifizieren und sich darauf zu konzentrieren.

Was macht eine Plattform aus? Wie fängt man an eine Plattform aufzubauen? Die Interaktionsmöglichkeiten der großen Plattformen und Plattformökosysteme sind das Ergebnis jahrelanger Arbeit und Entwicklung. Betrachtet man aber wie diese Plattformen entstanden sind und wie ganze Ökosysteme entstehen, dreht sich alles immer um eine Kern-Interaktion. In der Anfangsphase einer Plattform muss deshalb die Kern-Interaktion identifiziert werden. Auf eBay kann man sich Produkte merken, man kann seine Anzeige bewerben, man kann mit dem Verkäufer Nachrichten austauschen, den Kauf oder den Verkäufer bewerten. Der Kern liegt aber darin, dass eBay Verkäufern und Käufern von (gebrauchten) Produkten hilft, sicher und schnell zueinander zu finden.
Die eine Sache richtig machen
Die meisten großen Plattformen haben klein angefangen: Facebook ist als lokaler Service an der Harvard University gestartet und hatte kaum Funktionen, die wir heute von Facebook kennen. Auch AirBnB war nicht von Anfang an ein globales Netzwerk, sondern musste viele Schwierigkeiten überwinden, um überhaupt ihr Konzept testen zu können. Was im Rückblick immer einfach erscheint, kann eine große Herausforderung für Plattform-Entrepreneure sein.

Indirekte Netzwerkeffekte sind die treibende Kraft hinter digitalen Plattformen. Um diese nutzen zu können, muss die digitale Plattform die Teilnehmer von mindestens zwei unterschiedlichen Nutzergruppen miteinander verbinden und die Interaktionen zwischen den Teilnehmern vereinfachen. Es muss also einen guten Grund geben, warum die Teilnehmer auf die Plattform kommen, es muss etwas geben, was die Nutzer auf der Plattform machen und ein Ziel geben, das sie auf der Plattform erreichen können.
Plattform-Design 101: Schritt für Schritt

Beim Plattform-Design geht es zunächst nicht um das Geschäftsmodell. Die digitale Plattform muss erst die Netzwerkeffekte identifizieren und nutzen und somit Wert für die Nutzer schaffen, bevor sie ein Teil dieses Wertes abschöpfen kann. Die Problematik, dass zwei Nutzer mit komplementären Zielen zusammengeführt werden müssen, zwingt digitale Plattformen mehr als lineare Geschäftsmodelle, sich auf die Nutzer und User Experience zu konzentrieren. Die Fragen, wie man damit Geld verdient, steht bei den nachfolgenden fünf Schritten deshalb an letzter Stelle.
Schritt 1 - Welche Nutzergruppen treffen sich auf der Plattform?
Der erste Schritt klingt trivial, ist aber entscheidend. Wer ist auf der Plattform? Welche Nutzergruppen könnten grundsätzlich auf die Plattform kommen? Welche Cluster gibt es innerhalb der Nutzergruppen? Wie unterscheiden sich Nutzergruppen? Im Nachhinein sind die Entscheidungen der großen Plattformen auf welche Nutzergruppe sie sich konzentrieren gut nachvollziehbar, beim Aufbau einer Plattform muss diese Entscheidung allerdings unter großer Unsicherheit getroffen werden.
Die Ziele unterscheiden und verbinden die Nutzergruppen. Jede Nutzergruppe verfolgt ein eigenes Ziel: Jemand möchte ein Produkt verkaufen, jemand anderes sucht genau dieses Produkt. Eine Single-Frau sucht nach einem männlichen Partner, der der Singe-Mann nach einer Single-Frau. Die Nutzergruppen lassen sich immer eindeutig durch ihre unterschiedlichen, aber komplementären Ziele unterscheiden. Auf digitalen Plattformen gibt es immer mindestens eine Gruppe, die etwas anbietet und eine weitere, die etwas nachfragt.
Schritt 2 - Wie profitieren die Teilnehmer der Nutzergruppen voneinander?
Die digitale Plattform muss den beiden Nutzergruppen helfen, ihr jeweiliges Ziel so „günstig“ wie möglich zu erreichen. Tinder hilft, einen möglichen Partner in der Nähe zu identifizieren. AirBnB stellt die Infrastruktur, um Wohnraum sicher für kurze Zeiträume zu vermieten und OpenTable hilft mir, einen Tisch in einem Restaurant zu finden. Auf Tinder profitieren Single-Männer von mehr Single-Frauen, da dies die Wahrscheinlichkeit erhöht, die Traumfrau zu finden. AirBnB-Vermieter profitieren von vielen Nachfragern, weil sie den Wohnraum so häufig und profitabel vermieten können und genauso profitiere ich von vielen Restaurants auf OpenTable, weil ich so schnell Ausweichmöglichkeiten finde, wenn ein Restaurant ausgebucht ist.
Netzwerkeffekte lassen sich meistens mit der „Je-mehr-desto-besser“-Regel zusammenfassen: Für eine digitale Plattform muss immer ein derartiger oder ein ähnlicher Zusammenhang vorliegen. Der Wert der digitalen Plattform für die Nutzer entsteht nicht durch die Plattform selbst, sondern durch die Möglichkeit mit anderen Teilnehmern der anderen Nutzergruppe zu interagieren.
Indirekte Netzwerkeffekte können sich in der Richtung, in der Stärke und sogar im Vorzeichen unterscheiden. Es kann sein, dass eine Gruppe stark von der Verbindung profitiert (z.B. Werbetreibende), die andere Gruppe aber nur gering oder vielleicht sogar genervt ist (Empfänger von Werbung). Indirekte Netzwerkeffekte können sehr unterschiedlich sein, allerdings reicht es für den Moment zu wissen, ob überhaupt welche vorliegen und wie diese grob aussehen. (Mehr dazu in einem späteren Beitrag).
Schritt 3 – Was ist die Kerninteraktion auf der Plattform?
Was macht nun die Interaktion zwischen den beiden Nutzergruppen aus? Wie interagieren die Teilnehmer der beiden Nutzergruppen auf der digitalen Plattform? Wie sieht die „Signature“-Interkation aus, wann kommt es zur entscheidenden Interaktion, die für beide Nutzergruppen wertvoll ist?
Oft ist diese Interaktion nur ein Klick oder die Auswahl eines Anbieters. Die Kern-Interaktion kann deshalb sehr einfach wirken und vielleicht sogar sehr ähnlich zu einem linearen Geschäftsmodell sein. Wichtig ist aber, wie es zu dieser Interaktion kommt und was danach passiert. Legt man ein Produkt auf Amazon in den Warenkorb, ist das nicht grundsätzlich anders als auf MediaMarkt.de einen Artikel zu kaufen. Der Unterschied liegt darin, dass Amazon (in den meisten Fällen), nicht selbst der Verkäufer ist und die Ware nicht besitzt. Amazons Geschäft ist in diesem Fall die Verbindung herzustellen und die sichere Abwicklung des Geschäfts sicherzustellen.
Die Kern-Interkation ist das Ergebnis der Arbeit der digitalen Plattform: Zunächst müssen die Nutzer auf die Plattform „geholt“ werden, dann müssen die richtigen Nutzer miteinander verbunden werden und schließlich die Interaktion zwischen den beiden richtigen Teilnehmern ermöglicht und erleichtert werden.
Schritt 4: Wie ermöglicht die digitale Plattform diese Kern-Interaktion?
Erst jetzt kommt die digitale Plattform selbst ins Spiel. Bisher ging es nur darum, wer auf der Plattform ist, was auf der Plattform angeboten und was auf der Plattform nachgefragt wird. Erst jetzt geht es darum, Produkte und Services zu entwickeln, die diese Kern-Interkation ermöglichen bzw. vereinfachen. Erst jetzt geht es um eine technische Lösung.
In unserer Betrachtung spielt die Technik bisher keine Rolle. Die meisten digitalen Plattformen werden aber als Tech-Companies bezeichnet. Und dennoch scheitern die meisten digitalen Plattformen, die sich nur auf die Technologie konzentrieren. Das entscheidende an der digitalen Plattform ist nicht die technische Lösung oder der Service Produkt selbst, sondern das, was mit und auf dem Produkt gemacht wird und wie attraktiv es ist, das Produkt zu nutzen.
Schritt 5: Wie kann die digitale Plattform damit Geld verdienen?
Erst dann stellt sich die Frage, wie die digitale Plattform damit Geld verdienen kann. Auch wenn es um ein Geschäftsmodell geht, muss es zuerst immer darum gehen, wie die digitale Plattform Wert bei den beiden Nutzergruppen erzeugen kann (Value Creation), bevor sie daran denken kann, etwas von diesem Wert als Preis einzubehalten (Value Capturing). Denn wenn kein Wert geschaffen wird, kann auch kein Wert extrahiert werden.
Im linearen Geschäftsmodelle kommen die Umsätze aus dem Verkauf des Produkts oder des Service. Beim Plattform-Geschäftsmodell kommen die Umsätze aus der Nutzung des Produkts oder des Service. Das lineare Geschäftsmodell ist häufig einfacher und klarer zu verstehen: es wird etwas produziert, dann verkauft und so Umsatz generiert. Die digitale Plattform muss die Nutzer dazu bringen, auf die Plattform zu kommen, dazu muss sie „etwas“ (ein Produkt, eine App, einen Service, etc.) bereitstellen (eventuell sogar kostenlos), um dann mit der Interaktion auf der Plattform Umsätze zu generieren. Der Weg ist also deutlich länger.
Die Kern-Interaktion ist die Basis für das Geschäftsmodell
Die Kern-Interaktion zu identifizieren und zu verstehen (Schritt 1 – 3) ist die Grundlage, um ein Plattform-Geschäftsmodell aufzubauen (vereinfacht: Schritt 4 und 5). Warum ist das anders als bei linearen Geschäftsmodellen? Bei linearen Geschäftsmodellen entsteht die Möglichkeit einen Preis zu setzen aus dem Produkt oder dem Service (Schritt 4), bei digitalen Plattformen entsteht die Möglichkeit einen Preis zu berechnen aus der Kern-Interaktion, also aus den Schritten 1-3.

Ist die Kern-Interaktion erkannt, ist schon der erste Schritt gemacht, um das Chicken-Egg Problem zu lösen.
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